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Dr. Renate Lübenau-Nestle 22.02.1925 – 02.02.2010

Am 2. Februar 2010, wenige Wochen vor ihrem 85. Geburtstag, starb in Kempten Frau Dr. Lübenau-Nestle. Jeder, der sich in Deutschland und Österreich mit Moosen beschäftigt, kennt diese begeisterte und tatkräftige Bryologin, die noch bis zum Jahr 2008 an vielen Exkursionen im In- und Ausland teilnahm.

Lebenslauf

Frau Dr. Renate Lübenau-Nestle
Abb. 1: Dr. Renate Lübenau-Nestle auf
 Exkursion mit den Bayerischen
Moosfreunden 2008 (Foto: J. Rettig)

Renate Lübenau-Nestle wurde am 22.02.1925 in Ulm an der Donau geboren. Ihr Vater war Theologe (Vikar und Religionslehrer in Ulm), ihre Mutter Lehrerin im ehemaligen Mädchengymnasium. Renate hat eine Schwester Eva (Apothekerin in Ulm) und zwei Brüder, Wilhelm Nestle (chirurgischer Chefarzt am Kreiskrankenhaus Biberach) und Fritz Nestle (div. Lehranstellungen, zuletzt an der Pädogogischen Hochschule Ludwigsburg, Ausrichtung Mathe/Physik). Ein weiterer Bruder Eberhard ist im 2. Weltkrieg gefallenen (31.12.1943).

Im Krieg arbeitete Renate als Telefonistin in Ulm. Danach studierte sie Biologie in Stuttgart und Tübingen, wo sie auch ihr Examen machte. In den Schuldienst zog es sie nicht. Sie suchte – für die damalige Zeit nicht gerade üblich – eine Stelle als Biologin. Bei „Rentschler“ (Warthausen bei Biberach) fand sie eine Anstellung in der beginnenden Biotechnologie und arbeitete fortan an der Züchtung von Schimmelpilzen für diverse Käsesorten (v. a. Camembert). Die später begonnene Dissertation (Nestle 1953) fußte auf den praktischen Erfahrungen und Arbeiten bei Rentschler. Die Verteidigung dieser absolvierte Sie am 29.06.1953 in Stuttgart bei Prof. Dr. phil. H. Ullrich und Prof. Dr. A. Meyn. Ihre berufliche Karriere führte sie über die Edelweiß-Milchwerke K. Hoefelmeyer schließlich zum Milchinstitut Kempten, wo sie ihr Arbeitsleben bis zur Pensionierung verbrachte. Ihren Chef, Herrn Mair-Waldburg, unterstützte sie tatkräftig beim Verfassen des „Handbuch für Käse“, ein umfangreiches Werk, das Sie jedem Besucher bei sich in der Wohnung gerne zeigte.

Mit ihrem Vater und ihren Geschwistern unternahm sie schon in jungen Jahren ausgedehnte Wanderungen in die Allgäuer Bergwelt. Von diesen Tagesmärschen, die noch zu Fuß von Kempten aus mit dem Zug in aller Frühe begannen und spät in der Nacht endeten, berichtete sie uns oft und ausführlich. Manches Mal wurde auch in den Alpenvereinshütten übernachtet. Die Begeisterung für die Allgäuer Alpen und ihre Lebenswelt stammte aus dieser Zeit, gefördert und unterstützt vom Vater.

Um das Jahr 1958 wurde sie Mitglied im Naturwissenschaftlichen Arbeitskreis der Volkshochschule (VHS) Kempten, wo sie auch Karl Lübenau kennen lernte. Im Jahr 1961 heiratete Renate den Bahnbeamten. Zu dieser Zeit begann sie sich auch mit den Moosen zu beschäftigen. Sie und ihr Mann waren aktive Mitglieder im Naturwissenschaftlichen Arbeitskreis der VHS Kempten, in dem sie lange Jahre Vorsitzende war. Neben Vorträgen und Exkursionen engagierten sie sich auch bei der Herausgabe der „Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Arbeitskreises Kempten“, die zu Hause auf der Schreibmaschine getippt wurden. Sie unternahmen gemeinsam viele Exkursionen und konnten immer wieder bekannte Bryologen wie J. Poelt, J. Futschig oder F. Koppe zu ihren Begleitern zählen.

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1976 folgten Renate viele Botaniker in die Allgäuer Alpenwelt, in der sie sich so gut auskannte. Die Moossammlung und die zehn Ordner mit den Fundmeldungen des Allgäus, die ihr Mann begonnen hatte, wurden von ihr fortgeführt. Sie wurde nicht müde, die ihr bekannten Fundorte seltener Moose immer und immer wieder aufzusuchen und den Behörden zu dokumentieren, wie sich diese veränderten. Die letzten Meesia triquetra-Wiesen, Sphagnum platy-phyllum-Standorte oder die Wuchsorte von Distichophyllum carinatum, die ihr von Futschig selbst gezeigt wurden, lagen ihr am Herzen. Sie war eine der aktivsten Mitarbeiterinnen an dem „Verbreitungsatlas der Moose Deutschlands“ (Meinunger & Schröder 2007) und ihr gesamtes Wissen wurde mit eingearbeitet.

Als 1968 die Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) gegründet wurde, waren sie und ihr Mann die ersten Mitglieder in der Vereinigung, die Schulze-Motel und Poelt ins Leben riefen, mit dem Ziel eine Zeitschrift heraus zu geben. Im Jahr 1971 fand die 1. Exkursion in den Schwarzwald statt und schon im Jahr 1973 übernahmen Renate und Karl die Organisation für die 2. Exkursion der BLAM ins Allgäu. Damals wurde der dritte Fundort von Distichophyllum carinatum von Futschig entdeckt, Frau Patricia Geissler trat erstmals bei den Bryologen in Erscheinung und Prof. Dr. Gams versank in einem Moorloch. Insgesamt wurden 393 Moosarten bestimmt und vorbildlich protokolliert (Lübenau & Lübenau 1974).

Es folgten Führungen ins Allgäu für die Internationale Botanikertagung in den 1980-er Jahren und neben vielen kleineren Veranstaltungen im September 2004 noch einmal die BLAM-Exkursion an den Grünten.

 Lübenau-Nestle, Exkursion am 05.09.2004 mit Reimann und Dürhammer

Abb. 2: Renate und ihre Berge, Exkursion am 05.09.2004 mit Markus Reimann in den Allgäuer Alpen
(Foto O. Dürhammer)


Die letzten Jahre

In ihren letzten Jahren musste sie immer wieder eisern „kleinere Wehwehchen“ auskurieren, wie sie sie selbst bezeichnete. Mehrere Krankenhausaufenthalte wurden „weggesteckt“, so dass sie noch am 04.07.2008 mit dem Erstautor in einem Moor bei Oberjoch nach Meesia triquetra suchen konnte, oder sich dafür einsetzte, dass an einem Wuchsort von Amblyodon dealbatus durch die Regierung von Schwaben Pflegemaßnahmen zur Auflichtung eines Sinterquellhangs veranlasst wurden.

Von mehreren Schlaganfällen im Jahr 2008 erholte sich Renate anfangs nur langsam, doch blieben ihre Sprache und Mobilität stark eingeschränkt. Ihr letztes Lebensjahr verbrachte sie in einem Pflegeheim in Kempten, versorgt und betreut von ihrer Familie, ihrer Pflegerin Frau Weinberger und weiteren Freundinnen.